Svjetlan Lacko Vidulić über „Sex ist die Antwort“

Zu meinem Buch „Sex ist die Antwort“

Die Handlung des Romans Sex ist die Antwort spielt in der Wiener Frauenszene der frühen 1990er Jahre, die Geschichte kreist um das lesbische Liebesdreieck zwischen der Ich-Erzählerin, ihrer ehemaligen, noch immer begehrten Freundin Felicitas und ihrer jetzigen Geliebten Kaye, einer sadomasochistisch veranlagten pornographischen Künstlerin. Mit dem gleichen Gespür für psychologische Nuancen wie in ihrem ersten, auf die Innenansicht einer einzigen Beziehung konzentrierten Roman, entwirft die Autorin hier ein Panorama von Konstellationen, Gefühlslagen und sexuellen Lüsten, die allesamt auf einer Neuordnung der gewohnten sexuellen Identitäten, Beziehungsmuster und Praktiken beruhen, und doch allesamt um die wohlbekannten Phänomene der Liebe kreisen. Als Beitrag zur Affirmation weiblicher Sexualität ist der Roman in dreierlei Hinsicht radikal: zum ersten in der Darstellung männerfreier Beziehungsformen, zum zweiten in der pornographischen Darstellung sexueller Akte und der expliziten Thematisierung weiblicher Pornographie, zum dritten in der hedonistischen Bejahung sexueller Perversionen als klinisch und ethisch neutraler Bestandteile des sexuellen Lebensstils.

Geht es in dem Roman Böse Spiele, mittels der scharfsichtigen Anamnese einer heterosexuellen Beziehung, um die implizite Decouvrierung trivialmythischer Geschlechtsstereotypen in Sachen Machtgefälle, Rollenverhalten und geschlechtsspezifische Sexualität, so werden im Roman Sex ist die Antwort die heterosexuellen Beziehungsmuster und Stereotype völlig ausgeblendet zugunsten der selbstbestimmten und variationsreichen Formen lesbischer Liebe, unter besonderer Berücksichtigung sadomasochistischer Praktiken. „Die lesbische SM-Sexualität, als ritualisierte, kontrollierte Form von Gewalt“ – so Karin Rick in dem bereits zitierten Essay – trage für die Beteiligten sicher „weit mehr zum Exorzismus gesellschaftlicher Zwänge“ bei, „als so viele andere Arten, Geschlechtsverkehr zu betreiben“, sei aber „nur eine der Möglichkeiten, wie Frauen in sexuellen Darstellungen das Gefühl von Macht und Ohnmacht inszenieren können, ohne auf existierende männlich geformte Muster zurückgreifen zu müssen.“

Der Verzicht auf „männlich geformte Muster“ und der dadurch erzielte „Exorzismus gesellschaftlicher Zwänge“ bleibt in der fiktionalen Prosa der Autorin glücklicherweise impliziter Effekt, mündet nicht in einem Pamphlet gegen die ´Zwangsheterosexualität´. Die lesbische Liebe – dargestellt als ´reine Beziehung´ par excellence, gebeutelt vom Wandel der Gefühle, den Launen des sexuellen Begehrens, nicht zuletzt auch von den bösen Spielen um Macht und Beherrschung – erscheint nicht als idyllischer Gegenentwurf zu den „männlich geformten Mustern“, sondern allenfalls als selbstbestimmtes ´Chaos der Liebe´ (Beck/Beck-Gernsheim), jenseits der präformierten Zwänge und der vorprogrammierten Leiden der heterosexuellen Tradition.

Die pornographischen Darstellungen in diesem Roman lassen nichts zu wünschen übrig: sie machen ernst mit der Forderung nach einer weiblichen Pornographie, die keine moralischen und ästhetischen Tabus kennt, sind jedoch integraler Teil des psychologisch hochdifferenzierten Berichts über das Liebesleben der Ich-Erzählerin. Die sexuellen Begegnungen zwischen der Ich-Figur und der Leder-Domina Kaye steigern sich zu Lustprotokollen, deren Drastik und Obszönität nicht zu überbieten sind: umgeschnallte Riesendildos, Fesselvorrichtungen und andere Requisiten in vollem Einsatz, die triefenden Organe auf Hochtouren, die Physiologie und die Psychologie der Lust unter der Lupe – und all dies, dank literarischer Qualität, nachvollziehbar und erregend auch für den milieufremden Leser, der in den ungewöhnlichen Lustprofilen allenfalls eine verblüffende Neuordnung freigesetzter sexueller Fragmente erkennt. Eine spezifisch weibliche Pornographie wird in dem Roman jedoch nicht nur vorgeführt, sondern auch ausdrücklich thematisiert: Kaye ist eine kontroverse pornographische Künstlerin, hinter deren hyperrealistischen Skulpturen ein ästhetisches Programm steht (vgl. die Kapitel Die Galerie und Doppelgängerinnen).

In der Beziehung zu Kaye entwickelt die Ich-Figur ihre sexuellen Vorlieben, realisiert ihre sexuellen Phantasien:

[Kaye] wird nicht wie Felicitas meine Sexualität heruntermachen – obwohl Felicitas nur eine vage Ahnung von meinen inneren Bildern hat, von meiner tatsächlichen Perversion, meiner wirklichen Geilheit, dem Fetzigen, Ordinären, Vulgären, Hässlichen, Unanständigen, Fotzen- und Futhaften, dem Dreck, dem Abschaum, in dem ich mich in meiner Phantasie suhle, und nun endlich auch mit einer Frau im realen Leben, mit einer, bei der ich mich auch geborgen fühlen kann.

Mit hergebrachten Formeln wie Exhibitionismus und Sadomasochismus ist dem Profil dieser Vorlieben nicht eigentlich beizukommen; man müsste schon die feine Dynamik der Lust beschreiben, die in den einzelnen Konstellationen und Praktiken zum Ausdruck kommt. Entscheidend für unseren Zusammenhang ist das Selbstbild der Erzählerin und der Status dessen, was sie als Perversion bezeichnet. Während man in den sadomasochistischen Ritualen der Bösen Spiele noch – definitionsgemäß – eine ´erotische Form von Haß´ und einen sexualisierten innerpsychischen Konflikt mit kompensatorischer Funktion erkennen konnte, geht es in den entsprechenden Ritualen in Sex ist die Antwort nunmehr um den besonderen Lustgewinn sexueller Fragmente, die mit Grenzsituationen, mit Tabubruch, mit moralischer oder ästhetischer Deviation zu tun haben. Aus dem Kampf der Geschlechter entlassen, kann die sexuelle Obsession vollends der Regie einer hedonistischen Moral unterstellt werden.

(Auszüge aus: S. L. Vidulic, Die alltägliche Perversion, Das Motiv der sexuellen Paraphilie in Texten der neuesten österreichischen Literatur)

Svjetlan Lacko Vidulić ist Dozent am Institut für Germanistik der Universität Zagreb, Kroatien, Forschungsschwerpunkte: Wiener Moderne, Deutschsprachige Literatur nach 1945, gender studies; Der Jugoslawienkrieg in der deutschsprachigen und kroatischen Literatur. Letzte Veröffentlichung: Lieben heute, postromantische Konstellationen der Liebe in der österreichischen Prosa der Neunziger Jahre, Praesens Verlag, Wien 2007. Ausschnitte und Erkenntnisse obigen Artikels fanden in „Lieben heute“ Eingang.

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