Meomsa – die dunkle Seite der Sehnsucht

Über Linda Christanell

„Die Dinge, zu denen ich eine Affinität habe, weisen auf unbekannte erotische Ereignisse. Erotik ist für mich nur in filmischer Inszenierung möglich.“1 Die Experimentalfilmerin Linda Christanell hat zu Beginn der 1980er-Jahre mit ihrem Film Anna Aufsehen erregt. „Wenn ich rückblickend beurteilen müßte, welcher Film mir persönlich am interessantesten schien, so würde ich heute Anna sagen”, schreibt die Journalistin Elisabeth Bauer über das Festival in Solothurn 1983. Und: „Anna ist meiner Meinung nach der einzige Frauenfilm, der in Solothurn gezeigt wurde. Ein Film, der nicht nur von einer Frau gemacht und eine Frau zum Thema hat, sondern darüber hinauszugehen versucht. Ihre langatmigen und ruhigen Bilder verknüpft sie zu einer vielschichtigen Struktur, die die verschiedensten Aspekte der Lebenswelt einer Frau repräsentiert. Eingeschlossen in eine Welt aus Glimmer, Schmuck und Flitter wartet die Frau leidend ihr Leben ab, vor hundert Jahren genauso wie heute. Die sich wiederholenden kargen und spartanischen Bilder bewirken keinen Erlebnisrausch, wie wir es heute durch die Werbung gewohnt sind.“2 Es wäre jedoch zu einfach, Christanells minutiöse filmische Arbeit über Gegenstände, Elemente, Stoffe, die diesen Glimmer, Schmuck, Flitter darstellen, auf das Aufzeigen weiblicher Lebenswelt in Innenräumen zu reduzieren. Was bereits in Anna anklingt, wird in ihrem neuesten Film Meomsa (1988) zur Perfektion gebracht: Hier sind Schmuckgegenstände wie Anstecknadeln, Federn, Ohrringe, ein Korsett, Hutnadeln, ein Leopardenfell, Perlen, Spitzen Bedeutungsträger, Instrumente, mit denen die Mechanismen eines fetischistischen Systems visualisiert werden. Die Problematik der Nähe und Distanz des Blickes, der Lust und des Schreckens auf der Suche nach dem, was zu sehen wäre und nicht gesehen werden darf, die Ökonomie der Unmöglichkeit eines Zugriffs auf das erotische Objekt sind Struktur des Filmes, durchdringen die Technik und Erzählweise. Als Inhalt sehe ich die Unerreichbarkeit einer bestimmten Art der Erotik, nämlich das Scheitern einer Annäherung zwischen der diskursiven Instanz „Frau“ an die Frau, die im Film, im Bild sichtbar wird.

 

Die Bewegung der Kamera

Der Filmrhythmus gibt den Körperrhythmus des Filmenden wieder, so Christanell. „Der Umgang mit der Kamera ist in Bezug auf diesen Rhythmus Ausdruck von Sexualität. Die Kameraführung, Ausdruck von Kraft. Wenn ich die Kamera bewege, ist der ganze Körper mit dabei. Ich filme aus der freien Hand, weil diese Schwere der Kamera und die Bewegung des ganzen Körpers etwas Sexuelles hat und das bereitet mir Lust. Man sieht ja auf dem Film alles, wenn ich eine verkrampfte Bewegung mache, sieht man das dann, und wenn man sich einem Gegenstand mit einem lockeren Körpergefühl annähert, auch. Jedes sich nicht Trauen wird sichtbar. Wenn man Schwellenangst hat, weil man eine komplizierte Kamerabewegung macht …“3 Im Verlauf des Filmes Meomsa ist interessant, wie sich die Kamera den inszenierten Gegenständen nähert, was die „fließende Handlungsfähigkeit“, in die sich die Filmemacherin beim Drehen versetzt, aus dem vorher gänzlich durchkomponierten Netz von Einstellungen macht und so zu einer dichten Erzählstruktur verbindet.

 

Suche als masochistische Inszenierung

Ich sehe als erste Einstellung eine beringte Hand über einem gelackten Leopardenfell, dessen Flecken sich auf grünem Grund befinden. Die Hand ist um ein Feuerzeug geschlossen, bewegt sich, entzündet eine kleine Flamme. Eine Sekunde Rotfilm. Dann taucht das Fell wieder auf, in Rot. Bei hohem Ton spritzt ein Spiegelsplitter dazwischen, pendelt sich aus und bringt das ruhige, flackernde Bild ins Wanken, nimmt die Bewegungsform „Vibration“ vorweg, die den ganzen Film über immer wieder die Unbeweglichkeit der Kader durchbricht und damit die glatten Flächen, auf denen die Dinge liegen. Die Vibration der Dinge und Flächen, stelle ich fest, kann ja immer nur als Nachhall eines vorhergehenden, nicht sichtbaren Bewegungsanstoßes erfaßt werden. Der Zuschauerin, dem Zuschauer wird also, so scheint es, immer nur das danach erlaubt, das Ausklingen. Die Spannung entsteht dadurch, daß ihr/ihm der Blick auf das nie benannte Eigentliche des Films, auf das weibliche Geschlecht, verwehrt wird. Gleichzeitig wird sie Zeugin, er Zeuge einer Suche, einer fortwährenden, oft heftig raschen, dann wieder langsamen Annäherung der Kamera an etwas Verborgenes, das sich ihr entzieht – hinter Schichten von Flächen und Stoffen – in einem Raum, den sie der/dem BetrachterIn hartnäckig verweigert, weil sie davon zu winzige Ausschnitte zeigt, an denen sie zu nahe dran ist, um ein Raumgefühl überhaupt zu geben. „Die masochistische Erregungsart ist am besten durch den Ausdruck Suspense gekennzeichnet. Der Ausdruck Suspense enthält das Element des Ungewissen, Zögernden, Schwebenden: zugleich das einer nichtbestimmten Zeit oder Dauer dieses Zustandes. Am nächsten würde ihm etwa das Goethische ,Hangen und Bangen in schwebender Pein‘ kommen. Das zweite Merkmal des Spannungsverlaufs im Masochismus ist eine Tendenz, die Vorlust zu verlängern oder, was viel wichtiger ist, die Endlust zu vermeiden.“4 Ich werde in ständiger Erregung gehalten, aufgefordert, der Kamerabewegung nachzugehen, auf Entdeckungen zu stoßen, bin enttäuscht, doch wieder nichts gesehen zu haben, zu spät gekommen zu sein, oder zu früh, eine Bewegung nur im Ausklingen zu erhaschen. Das Schweifen über Stoffe und glatte Flächen bringt mich einer voyeuristischen Position nahe. Die wird jedoch verhindert, denn die Ruhe der Gegenstände, ihr wie selbstverständliches und deshalb umso absurderes Im- Stillstand-Sein wird mir verwehrt, das darf ich nicht genießen, die Kamera treibt mich weiter, ich bin Zeugin dieser Rastlosigkeit und werde mitgerissen von den Zuckungen, dem Nachbeben und Auspendeln der Objekte und Einstellungen, der sich brechenden spiegelnden Oberflächen. Das Verwirrspiel der Suche wird perfekt, wenn die Gesuchte, die Klitoris, zuerst einmal nicht als solche, dafür aber in verschiedensten Verfremdungen oder in Fetischen travestiert auftaucht, die Bildfläche beherrscht oder materialisiert in Gegenständen und Leuchtobjekten an den Rändern des Bildes entwischt, weggezogen wird. Die Lust, die sie verursacht, erscheint im Film als vibrierende, flackernde Bewegung, die die Objekte, Kader und das Medium, die Kamera selbst erfaßt.

 

Fetisch als Fascinosum

Das radikal Neue an Meomsa ist, daß die fetischistische Suche nach dem Verborgenen nicht den Phallus meint, sondern sich auf die Klitoris richtet, sich auch die gesamte Filmsymbolik rund um die Attribute dieses „Zarten, Kleinen“ zentriert, sowohl in der Präsentation, in der Form der Gegenstände, als auch in ihrer Bewegung, die von der Bewegung der Kamera, der Kader und Überblendungen paradigmatisch übernommen wird. Damit geschieht eine positive Bestimmung des weiblichen Geschlechts, die sich der Festlegung der weiblichen Sexualität als der des Mangels entgegensetzt. Und nicht im Überdecken des Mangels (das Fehlen des Phallus) wurzelt hier die Idee des Fetisch, sondern in seiner ursprünglich religiösmagischen Bedeutung, der Ambivalenz zwischen Erschauern und Anziehung. Die fetischisierten Gegenstände reflektieren das Wechselspiel von Angst und Faszination in der Beziehung zwischen der narrativen Instanz „Frau“ und Meomsa, der gesuchten „realen“ Frau im Film.

 

Flamme – Bild und Bewegung klitoraler Lust

Das Feuer, einmal angezündet, brennt über dem Fell, geht auf den Filmkader über, dann in den Schwarzfilm hinein, in seiner Nacht erlischt es. Sein Flackern taucht in anderer Form als Lichtreflex auf der glatten gelackten Oberfläche des Fells wieder auf, geht in Bewegung, in das Oszillieren der Überblendung bisheriger Einstellungen über. Die Zucken einander zu, das Leopardenfell, die Flammen, gegenseitig gespiegelt, der Kristall als Ohrring, entfernt und wie beiläufig eine Rose, die gegen Ende als Vulva noch das Bild beherrschen wird. Handlungselemente, die auf ihr wiederholtes Vorkommen später verweisen und jetzt in einem zeitlichen Knoten die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. In einer „mise-en-abime“ (der Illusion einer ins Unendliche gehenden Verlängerung des Blickes) dieser flackernden Überlagerungen lodert das Feuer weiter, wird ausgetauscht durch ein unbewegliches Schwarzweißfoto: eine Katze, bewegungslos und in Schwarzweiß als Verdoppelung der Unbeweglichkeit des ersten Fotos, der ersten Frau, Louise Brooks. Die Katze ist natürlich Fetisch, für mich aber auch „La Chatte“, wie das Feuer Metapher für die Materialisierung der Gesuchten.5 Etwas später erscheint die „wirkliche“ Frau, Meomsa, die Hauptdarstellerin, zu den Worten Friederike Mayröckers aus dem Off: „Ihr gemeinsamer Aufzug und Auftritt jedoch schien endgültig vorbei und vergangen“.6 Das Scheitern der Begegnung wird vorweggenommen.

 

Sehen – Aufgabe voyeuristischer Distanz

Ihr Auftauchen löst das Foto ab. Die Kamera fährt lange, schweifend an ihrem in schwarze Spitze gekleideten Körper entlang, gibt dennoch nichts Ganzes von der Frau zu erkennen. Der Körper erscheint fragmentarisch, auch im Gesicht wird nicht verweilt, die Einstellung, die die Frau ganz zeigt, ist verschwommen. Die ZuschauerIn hat keine Möglichkeit sich sattzusehen. Damit wird sowohl die Idee selbstverständlicher körperlicher Einheit in Frage gestellt, als auch die Herrschaft des Kamerablickes. Zum Glitzern und Funkeln eines plötzlich im Bild erscheinenden Kristalls ertönt ein schriller Klang, nachdem mir wie unabsichtlich ein kurzer Blick auf eine liegende Kamera gegönnt wurde. Das Durchscheinende des Kristalls, in dem sich das Licht in allen Farben bricht und der mir so nahe ist, suggeriert mir den Wunsch hindurchzusehen, gleichzeitig verdeutlichen die Glasfacetten und die Verschwommenheit ihrer Lichtpunkte die Unmöglichkeit des Blickes, weiterzugehen als bis zu dieser geschliffenen Fläche, die zurück-wirft, mich auf mich selber und auf meinen Blick, mich rastlos macht. Wie ein Echo des schwingenden Glases wirkt die Musik. Glas, Kälte, Verstandeskälte, Schwerelosigkeit der Reflexion. Die Musik erreicht für das Ohr unerträgliche Höhen. Die Musik, später auch die Schritte in einem unsichtbaren Raum, verheißungsvoll, unsicher Erwartung bergend, als Illustration dieser ins Bedrohliche gehenden Suche.

Karin Rick, Meomsa, die dunkle Seite der Sehnsicht, erschienen in: „LINDA CHRISTANELL – Wenn ich die Kamera öffne, ist sie rot.“ SYNEMA-Publikationen, Wien 2011.
Fußnoten:
1 Linda Christanell im Gespräch mit Karin Rick.
2 Elisabeth Bauer: „Bilder von Frauen – Frauenbilder von Männern. 18. Solothurner Filmtage“. In: S’ rote Heftli, Nr. 3, Bern 1983.
3 Statement Linda Christanells zu ihrem Film MEOMSA.
4 Theodor Reik: Aus Leiden Freuden. Masochismus und Gesellschaft. München 1977, S. 80f.
5 „La Chatte“, frz. für Katze bedeutet im Umgangssprachlichen auch Vagina.
6 Aus: Friedericke Mayröcker: Reise durch die Nacht. Frankfurt am Main 1984, S.90Der ganze Artikel erschienen in: „LINDA CHRISTANELL – Wenn ich die Kamera öffne, ist sie rot.“ SYNEMA-Publikationen, Wien 2011.

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