Venuswelle in der Alten Schmiede
Am Dienstag stellte ich meinen Roman Venuswelle im literarischen Quartier Alte Schmiede vor. Das Motto der Veranstaltung war Liebe, Freiheit und Selbstbestimmung, wie gemacht für mein neues Buch.
Venuswelle, die Liebesgeschichte zwischen dem englischen DJ Steve aus der lower middle class und der Promifotografin Nina auf der Insel Caldera wird zu einer ménage à trois mit Steves Persona, seinem geheimen zweiten Ich, der Diva Cindy, die sich im sexuellen Spiel von Nina als Frau begehren lässt. Steve lebt seine Wünsche aus, Sexualität als Frau zu erleben, Nina ihre Sehnsüchte danach, Mann und Frau gleichzeitig, in einem Akt zu begehren. Die Vulkaninsel Caldera als Ort der Wandlungen und ephemerer Begegnungen ist das Setting für diese Transformationen und Identitätswechsel, die für beide Protagonisten als Befreiung von beengenden Ansprüchen ihres sozialen Umfelds gelebt werden. Steve verliebt sich wirklich in Nina. Sie aber macht Steve/Cindy zuerst zum Objekt ihrer Fleischeslust, dann ihrer Schaulust und letztlich ihrer Fotokunst. Je mehr Cindy zur Muse wird umso mehr befreit Nina sich von allen Gefühlen, die sie an Steve binden. Je mehr Steve erkennt, dass mit Nina außerhalb des Sexuellen keine Beziehung lebbar ist, und er auch in der Öffentlichkeit zu sich stehen muss, desto mehr befreit er sich von den Ängsten, im Außen nicht akzeptiert zu werden.
In der anschließenden Diskussion brachte sich das Publikum lebhaft ein. Eine Zuhörerin bezog sich auf den Perspektivenwechsel in der Erzählung. Jede Situation wird ja von Steve in der Ich-Form erzählt, dann von Nina in der dritten Person erneut reflektiert. Das „Steve-Ich“ zu schaffen ermöglichte mir, sagte ich, die Gefühlswelt des Mannes für die Lesenden und für mich selbst stärker erlebbar zu machen. Das auktoriale Ich ist damit zum ersten Mal in meiner Literatur das männliche. Die Verwendung der dritten Person für Nina macht aus dieser eine distanzierte, sich selbst beobachtende Betrachterin des Geschehens und stattet sie mit in tradierten Verhaltensmustern typisch unweiblichen Eigenschaften aus: Definitionsmacht, Dominanz, Primat des Intellekts, Transzendierung des Geschehens durch den künstlerischen Akt (Nina fotografiert Steve sogar während des sexuellen Spiels, Steve lässt sich willig auf diese narzisstische Rolle ein), der Nina die gleiche Befriedigung verschafft wie der sexuelle Akt.
Daraus ergab sich die nächste Frage, ob denn eine zur Perfektion gesteigerte sexuelle Inszenierung nicht die tatsächliche sexuelle Erfüllung vereitle. Ob denn nicht für Steve und Nina das Phantasma im Kopf der Feind der Befriedigung sei.
Für beide, antwortete ich, entsteht die glückhafte Erfüllung durch die Gewissheit, mit dem anderen genau das Phantasma ausleben zu können, das sie vor der Welt verborgen halten. In der Sicherheit, ein mit der anderen Person kongruentes Lusterleben zu haben. „Und im Grunde weiß man ja sowieso nie, ob der andere wirklich Lust erlebt hat“, fügte ich hinzu. „Da hilft die Illusion gelegentlich sehr.“ Eine andere Zuschauerin fragte, ob Steve und sein Alter Ego Cindy von Nina als ein und dieselbe Person wahrgenommen werden. Ich verneinte. Nina erlebt Cindy als eine Fremde aus einer anderen Welt, ein Zwischenwesen, eine unirdische Erscheinung, Steve ist ihr zwar auch fremd, sie kommen beide aus unterschiedlichen Schichten, aber doch vertrauter als diese Frau der Nacht. Das jedoch ist auch der Reiz für Nina. Nina begehrt Cindy sogar anders als Steve. Härter.
Letztendlich wollte ein Zuhörer wissen, ob ich nur „solche queeren“ Texte schreibe oder auch „normale“ Liebesgeschichten zwischen Mann und Frau. Es widerstrebt mir, sagte ich, Sexualität bloß am Geschlecht des Partners oder der Partnerin festzumachen. Sexualität ist viel mehr. Was mich in all meinen Erzählungen interessiert ist, wie sehr Menschen sich von vorgegebenen Anleitungen, Beeinflussungen oder Konditionierungen entfernen, wie sie in aller Heimlichkeit doch ihr Ding durchziehen, ihren Kick, das was ihnen die absolute Lust im Moment verschafft, diese Einheit mit der Welt, die alte Sehnsucht nach dem Numinosen.