Nicht ‚Napoleon‘, ‚Indiana Jones‘ oder ‚Oppenheimer‘ haben mich im Jahr 2023 als Heroen des Blockbuster Kinos begeistert, sondern ‚Bella Baxter, Barbie und Priscilla‘. Was treibt diese weiblichen Hauptfiguren an und warum faszinieren sie mich so? Um dies zu beantworten, muss ich ein paar Jahrzehnte zurückgehen.
Die 80er – eine glückliche Zeit für Aufbrüche
Meine ersten literarischen Schritte in die Öffentlichkeit fanden in den späten 80ern statt, eine glückliche Zeit für Aufbrüche. Die zweite Frauenbewegung und die Lesben- und Schwulenbewegung hatten vieles bewirkt. Weitreichende Rechte wurden erstritten und der heutige konservative, neoliberale Backlash war noch nicht in Sicht.
Frauen, die zwar seit 1957 (theoretisch) ein eigenes Bankkonto besitzen durften, bekamen in Österreich erst ab den 1970er-Jahren unter der Regierung Kreisky das Recht auf eine eigene Erwerbstätigkeit ohne die Zustimmung ihres Ehemannes.[1] Vorher war ihre ökonomische und soziale Existenz gänzlich an ihn gebunden. Das Sozialversicherungssystem war bis dato auf den Mann als Arbeitenden ausgerichtet, Frau und Kinder waren mit ihm mitversichert – und von ihm abhängig. Warum ich das hier erwähne? Nun, es wirkte sich hemmend auf die Entfaltungsmöglichkeiten von Künstlerinnen aus. Exemplarisch dokumentiert wird das in dem Film „Sie ist der andere Blick“ von Christiana Perschon über das Wirken der feministischen Wiener Avantgardekünstlerinnen Renate Bertlmann, Linda Christanell, Lore Heuermann, Karin Mack und Margot Pilz. “Auf fast experimentelle Art wird in diesem Film die Dialektik zwischen Moral, Material, patriarchalen Kreativitätshindernissen und widerständiger Kunstarbeit verhandelt“[2]. Von Kreativitätshindernissen innerhalb der Familie berichtet Lore Heuermann. Sie zog ihre Kinder nach der Scheidung zwar allein groß, aber bei jeder schulischen Entscheidung musste sie das Einverständnis ihres Ex-Mannes, des Schriftstellers Oswald Wiener, einholen, der sich mit ihrer Doppelrolle als Mutter und Künstlerin nicht wirklich anfreunden wollte. Von den eigenen (Ex-) Partnern, aber auch von Jurys, Museen und Galerien kam viel Gegenwind. Der begann abzuebben, nachdem der Mann als Familienoberhaupt abgeschafft wurde.
Die Pille, erhältlich ab 1962, und die Fristenlösung ab 1975, die einen straffreien Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Schwangerschaftsmonate erlaubte, befreiten von dem Zwang, eine ungewollte Schwangerschaft auszutragen. Künstlerinnen profitierten davon enorm. Zuvor gingen europaweit tausende, auch prominente Frauen auf die Straße und exponierten sich als Gesetzesbrecherinnen mit dem Slogan, „ich habe abgetrieben“.
Für meine Selbstverwirklichung als queere, österreichische Autorin war befreiend, dass 1996 das Verbot für ‚gleichgeschlechtliche Unzucht‘ zu werben, aufgehoben wurde. Meine Bücher im deutschen konkursbuch Verlag liefen also nicht mehr Gefahr, vom Zoll beschlagnahmt zu werden, oder Gegenstand eines Gerichtsverfahrens wegen Jugendgefährdung zu werden. Ein vielseitiges queeres Vereinsleben entstand, lesbische, erotische Literatur wie meine und lesbische Pornographie kamen endlich auf den Markt und wurden in feministischen Buchhandlungen verkauft. Mit diesen Freiheiten gehen wir heute, finde ich, gedanklich zu sorglos um. Gefahr von rechts ist im Anrollen.
Weibliche Freiheit, Selbstbefreiung und Selbstbehauptung in der Literatur beschäftigen mich seit meiner ersten Romanveröffentlichung ‚Böse Spiele‘ 1991. Das Buch erzählt die Geschichte einer Frau, Helene, die in den intellektuellen Kreisen einer Großstadt eine Rolle spielen will und auf einen Mann, Johann, stößt, der sich als Helfer und Wegbereiter anbietet. „Gefangen in einem engen Netz von Regeln“ versagt er jedoch in jeder Hinsicht, auch als Liebhaber. Helene nützt seine Vorliebe für ausgefallene Sexspiele, um an Erfahrungen reicher zu werden, verlässt ihn jedoch nach Erreichung ihrer Ziele. Das Pygmalionthema wird gegen den Strich gebürstet. Die Frau, die Pygmalion ergeben sein soll, geht ihren eigenen Weg. Meine Bücher inszenieren Grenzformen weiblichen Begehrens, Ausbrüche aus Rollenmustern und erotisches Abenteurertum. Ich empfinde es immer noch als unfassbare persönliche Freiheit, Lust und Verlangen zu verschriftlichen und in Buchform zu veröffentlichen. Eine Freiheit, die bislang bei uns keiner Zensur und keiner Verfolgung unterliegt und die nicht hoch genug einzuschätzen ist.
Wenn Rechte erkämpft werden, könnte man hoffen, dass sich diese neue Realität auch im Film widerspiegelt. Doch es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis es sich lohnte, Blockbuster mit starken Frauenfiguren zu besetzen. Und zwar nicht mit irgendwelchen, sondern mit Heldinnen, die ausziehen, um gleich ein ganzes Gesellschaftssystem umzukrempeln und nicht bloß einen Mann zu erobern. Man musste erst einmal darauf vertrauen können, dass ein solcher Film die Kassen gleichermaßen klingeln lassen wird wie die klassische männliche Heldenstory, der X-te Aufguss von Siegfried, dem Drachentöter. Heldinnen, die nicht bloß den Märchenprinzen wollen, sondern gleich das ganze Schloss, das Reich, die Untertanen, Macht über Gesetze, Benimm-Regeln und Finanzflüsse. Sprich: Alles. Die Sehnsucht, solche Heldinnen auf dem silver screen zu sehen, ist mittlerweile im weiblichen Publikum dermaßen groß, dass frau in Kauf nimmt, diese ‚Wonder Women‘, wenn nicht anders möglich, in Fantasyfilmen serviert zu bekommen. Und da gab es in den letzten Monaten gleich zwei, die sämtliche Rekorde brachen… (weiterlesen Teil 2)
[1] In Deutschland trat das erste Gesetz zur Reform des Ehe- und Familienrechts 1977 in Kraft. Demzufolge gab es keine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabenteilung in der Ehe mehr und Frauen konnten ohne Zustimmung des Ehemannes einen Beruf ausüben.
[2] Silvia Hallensleben im Tagesspiegel, am 10.11.2019 anlässlich der Duisburger Filmwoche, Magische Maloche.