Klischee Ade! WE WANT MORE ROCK ’N’ ROLE
Das Motto dieses Symposions von ‚Frauen Arbeit Film’ hat mich veranlasst, einen filmischen Beitrag zu wählen, der spielerisch mit dieser Forderung umgeht. Er stammt aus einem Dokumentarfilm über mich als Schriftstellerin, gedreht von Astrid Becksteiner und Roberta Schaller-Steidl für die Frauendoku Graz im Rahmen der Reihe Künstlerinnenporträts.
Als ich bei den Dreharbeiten gefragt wurde, wie ich mich jenseits der Interviewposition noch präsentieren möchte, sind mir spontan die Kostümierungen, die Verkleidungen und auch die Tanzeinlagen eingefallen, die Sie nun sehen werden. Sie stehen für meinen Wunsch alltagsfremde, zumeist schimmernde, schillernde Schichten überzuziehen und in diesen gesehen zu werden, durch die Kleidung in der Eigenwahrnehmung in ein fantastisches Universum einzutauchen und in die „mythische Aura des Angesehen-Werdens“. Demnach trägt der Film auch den Titel „Glamorous Journey“.
Gerade weil bestimmte normative Konzepte den weiblichen Körper als eindeutig kodieren, bin ich mir bewusst, dass jede Darstellung, Selbstdarstellung eine Gratwanderung zwischen Subjekt- und Objektposition, zwischen Selbstspiegelung und Fremdspiegelung oder ein Schwebezustand zwischen beiden ist. In einem Schwebezustand zwischen tradierten Weiblichkeitsrepräsentationen befinden sich auch die lesbischen Hauptfiguren in meinen Büchern, die eine Verschiebung von Rollenklischees in sich tragen. Ich habe mir überlegt, welches der gemeinsame Nenner der Hauptfiguren meiner Bücher ist und bin auf verschiedene Varianten der Garçonne gestoßen, wie sie in zeitgenössischer Prägung sein könnte.
Die Garçonne bündelt Ausbruchsphantasien. Sie belegt in den Zwanzigern eine große Bandbreite von imaginierten oder realen, unabhängigen und deshalb als dominant gesehenen Frauengestalten angefangen von der Rebellin, der grausamen Frau, der Duellantin, der femme d’attaque, Betrügerin aller Art und: sie ist zumindest bisexuell. Oft auch gegenkulturelles Symbol für lesbische Ausdrucksformen. Die Sexualwissenschaft der Zwanziger gesteht ihr sogar ein drittes Geschlecht zu. Die Garçonne prägt auch den literarischen Diskurs der Epoche. Das ist sehr schön zu sehen bei dem österreichischen Schriftsteller Fritz von Herzmanovsky-Orlando, der sich selbst in eine Peitschen schwingende, auch Frauen liebende Libertine verliebte und diese heiratete, und zudem drei Romane schrieb, in denen der Held durch eine unbekannte, starke, idealisierte, männliche Frau zu Tode kommt. Er wird, wie der Autor selbst sagt, „seiner Vernichtung im Magischen“ zugeführt.
Als Femme fatale hat sich die Garçonne ziemlich lange gehalten, ist aber auf Grund eines, auch ökonomisch bedingten Backlash heute in den Hintergrund geraten, in den 50ern, 60ern filmischsymbolisch oder real zu Tode gekommen und durch gezähmte Weiblichkeit ersetzt worden. Von dieser Zähmung haben wir uns bis heute nicht erholt, meine ich. Wir haben diese Garçonne als Aufbruchsfigur also aus dem Blickfeld verloren. Eine der prominenten zeitgenössischen Mediengestalten, die mit Versatzstücken der Garçonne immer gespielt hat und damit zumindest die 80er Jahre revolutionierte, ist Madonna. Sie wird heute jedoch schon vom „bastardisierten“ Zitat ihrer selbst, von der, wie die New York Times schreibt „post-sexuellen“ Lady Gaga abgelöst.
In meinen Büchern sind einige Varianten der Garçonne als Rebellinen diverser Art zu finden: Felicitas aus „Cote d’Azur“ ist die elegante, auf dem gesellschaftlichen Parkett versierte Intellektuelle in ständig changierenden Hosenrollen, die sich als Geliebte täglich neu und anders entwirft („Sie ist manchmal die leidenschaftliche Primadonna, dann das kleine Streichelwesen“ ), aber mit ihrer Sprache vernichten kann. Gini Sedlak aus „Furien in Ferien“ ist die Streunerin, die Vagabundin, die Politaktivistin, die ständig im Clinch mit staatlichen Ordnungsmächten liegt und von den gesellschaftlichen Rändern aus agiert. Kaye, die Lederfrau, aus „Sex ist die Antwort“, die als Künstlerin überdimensionale Vulvas mit unzähligen Öffnungen aus Kautschuk baut und mal den Strichjungen, mal die vulgäre Domina in ihrem Repertoire hat. Und in meinem letzten Buch, Chaosgirl, Anita, die, als burschikose Mutter „die Zweiteilung des schönen Geschlechtes in das rein Matronale (also Mütterliche) und das bübischvirginale des maskulinen-puerilen Zweiges aufhebt.“ Wobei das Etikett „virgen“ auf keine meiner Protagonistinnen zutrifft.
Ein Faktum ist: Die „femme fatale“ geht heute nicht mehr zugrunde, Marilyn Monroe kann nicht mehr sterben, die Sexsymbole überleben und werden mit uns alt. Das eröffnet neue Perspektiven, wenn Schönheit oder Vergänglichkeit mit Weiblichkeit in einem Atemzug genannt werden. Schönheit bislang als nicht weiter definierte Leerstelle, Vergänglichkeit bis dato quasi inexistent. Ich plädiere auch für die Wiederbelebung oder –besetzung der Figur des weiblichen „tricksters“. Ins Unreine gesprochen wäre der „Trickster“ als ambivalente Erscheinung eine gute Option für ein weibliches Verhaltensrepertoire. Er verkörpert das Prinzip der Vereinigung von Gegensätzen. Er ist weder gut noch böse, er ist listenreich. Madonna wird bisweilen als Trickster bezeichnet, als „Savvy pop trickster, „using outrageous imagery as distraction while smuggling ideas about religion and social politics into her music“. Anita in meinem Roman Chaosgirl agiert wie das Sandkorn im Getriebe des staatlichen Kontrollapparates, sie ist „das kleine anarchische Krümelchen im Megazentrum des Sammelimperiums “ und treibt dort listig ihr subversives Unwesen. Also es geht darum, um mit einem Zitat Herzmanovsky-Orlandos abzuschließen, dass „diese Amazonenwirtschaft, diese verdammte, die man doch seit Jahrhunderten tot geglaubt (hatte)“, sich offensiver gebärdet und wieder sichtbarer wird.
Karin Rick, Diskussionsbeitrag für die Veranstaltung, Klischee ade, we want more rock’n’role! Konzept und Organisation: Frauen Arbeit Film, Sabine Perthold, Brigitte Mayr, 29. September 2010
© Foto aus: „Le Rouge aux Levres“/„Blut an den Lippen“), Regie: Harry Kümel, F/B/D 1970 – Quelle: darkeyesocket.blogspot.com)