Leseperformance Karin Rick, Schriftstellerin, Jeanne Drach, Performancekünstlerin, Barbara Seeck, Moderatorin

Großer Andrang und reges Publikumsinteresse gab es bei Karin Ricks Buchpremiere im Literaturcafé phil in der Gumpendorferstrasse. In dem bis zum letzten Platz besetzten Raum herrschte angespannte, aufgeregte Spannung, als Jeanne Drach und Karin Rick Dramolette und Texte aus „Ladys, Lust & Leidenschaft“ gemeinsam performten. Jeanne Drachs Musikimprovisationen, die das Klirren der Eiswürfel in Aperolpokalen imitierten, brachten  die Atmosphäre eines sommerlichen Erotik Nachmittages für die Geschichte ‚Kaleidoskop‘ hervor. Heiterkeit brach bei dem Dramolett ‚Mélange à trois‘ aus, satire at its best. Nachdenklich machte die melancholische Geschichte ‚Magische Worte‘. Anschließend sprach Karin Rick mit Barbara Seeck über die Motive ihrer Literatur:

Barbara Seeck: Vielen, vielen Dank Karin Rick und Jeanne Drach für diese wunderbare Performance. Ich habe die Texte ja schon vorab zu lesen bekommen, aber es ist etwas ganz anderes, sie vorgelesen zu bekommen und vor allem viel, viel lustiger. Karin Rick, ihre Spezialität sind erotische Inszenierungen. Was ist so spannend daran, Sexualität als Theater zu schreiben?

Karin Rick: Ich begann nach und nach, den sexuellen Akt überhaupt als persönliches, bewusst in Szene gesetztes privates Theaterstück zu begreifen, als Situation, in die sich zwei Menschen begeben, um eine Art Katharsis in dieser Inszenierung zu erleben, durchaus auch mit SM Komponenten, Fetischen und dergleichen, und dies als lustvoll zu empfinden. Das brachte mich auf die Idee einer szenischen Auflösung des Aktes in Dramoletten.

Die sind bewusst satirisch verfasst, weil ich damit sehr gut Geschlechterrollen parodieren kann. Friedl von ‚mélange à trois‘ und Sharon von ‚Kaleidoskop‘ sind natürlich überzeichnete Prototypen, trotzdem kann man beim Schreiben auch davon abweichen und dann verschiebt sich etwas in der Geschichte, denn es geht letztendlich nicht nur um Vorurteile, sondern um deren Überwindung.

Barbara Seeck: Gerade die heute ausgewählten Dramolette in „Ladys, Lust & Leidenschaft“ spielen viel mit Geschlechterklischees. Was macht diese Klischees so interessant für Sie?

Karin Rick: Wir leben alle von Klischees, werden in sie hineingezwungen, oder versuchen, in sie hineinzupassen, gerade in der Sexualität. Es kann sich jede und jeder heute seine eigenen Pornos zu Hause anschauen, wo in der Massenpornografie vor allem ein typischer Ablauf des Aktes durchgespielt wird. Gerade bei jungen Menschen entsteht dann der Druck, genau diesen Ablauf erfolgreich zu absolvieren, damit der sexuelle Akt gelingt.

Trotzdem gibt es immer wieder Menschen, die es schaffen, sich diesem überschäumenden Mediengewitter, diesen Schubladen, wie man sexuell zu sein hat, zu entziehen.  Und wenn sie das dann konterkarieren, weil sie ihre eigenen Phantasmen durchsetzen wollen, finde ich das sehr mutig. Ihnen gehört meine große Liebe als Autorin.

Ich habe zu diesem Thema in „Venuswelle‘ geschrieben. Der Mann, die Hauptperson lebt umringt von Freunden, für die die Rollen und Erwartungshaltungen eng definiert sind, also was ein Mann sein soll und darf oder muss, Familie, Kinderkriegen, Geld nach Haus bringen, strikte Heterosexualität vor allem.

Trotzdem hat sich Steve, der Protagonist seine ganz persönliche, heimliche Lust, seinen Freiraum, seine Bubble geschaffen, wo er Sexualität anders leben kann, als er es je seinen Freunden gegenüber gestehen wird, nämlich als Frau gekleidet und begehrt. Das macht Menschen wie ihn sehr labil in ihrem gesellschaftlichen Status. Denn Phantasmen jenseits des Mainstreams auszuleben ist immer noch eine große Hürde, ja in gewissen Situationen gefährlich, ob transgender, homosexuell, auch lesbisch und bisexuell. Umso mehr muss man als Autorin den Blickwinkel darauf lenken.

Barbara Seeck: Was Ihnen immer wieder super gelingt! Aber nun Jeanne Drach, es ist das erste Mal für Sie, dass Sie erotische Literatur vortragen, insbesondere aus weiblicher Sicht geschrieben, queere Literatur genaugenommen. Wie ist es ihnen damit gegangen?

Jeanne Drach: Ja, das war sehr aufregend für mich. Ich kenne erotische Literatur vor allem aus männlicher Feder, Houellebecq oder De Sade oder von meinem Opa, Albert Drach, aber es ist sehr erfrischend einen anderen Blick auf die Sexualität zu haben, wie Karin sagt, dem weiblichen Orgasmus einen Raum geben. Es geht ja sonst immer nur darum, dass der Mann kommt, und was Karin macht, ist sehr spannend, und macht mich als Frau nachdenklich.

Barbara Seeck: Karin Rick, in ihren Büchern hat man das Gefühl, dass sie mit den geheimen, erotischen Wünschen der Leserinnen und Leser spielen. Kann man das so sagen?

Karin Rick: Kann schon sein. Gerade bei ‚mélange à trois‘ habe ich mir tatsächlich ein älteres Paar vorgestellt, dessen Leben im Laufe der Jahre viel zu sehr eingespielt ist und das durch das Erleben im Kaffeehaus in seiner Routine aus der Bahn geworfen ist. Generell geht es mir darum, dieses Herannahen der Lust, wie sie sich zu einem totalen Glücksgefühl hin entwickelt in der Sprache nachzuvollziehen. Geschriebene Sprache lebt ja von ganz anderen Codes als sexuelle Sprache, diese Umsetzung von einem Code zum anderen ist eine Herausforderung.

Barbara Seeck: Wie setzt man das um?

Karin Rick: Zuerst fragt man sich, wie entsteht überhaupt Lust? Und, wie taucht sie in der Sprache auf? Ja, die Sprache der Lust: Eine Zeitlang dachte ich mir, in jedem meiner Texte muss eine Frau oder zwei mindestens einen oder zwei Orgasmen haben, schon deshalb, weil ich das selber immer wieder vermisse in der Literatur, die ich lese.

Heiterkeit im Publikum.

Und weil du, Jeanne, Houellebecq erwähnt hast: was mir besonders missfällt in der Gesellschaft, die Houellebecq in seinen Romanen entwirft, ist dieses undifferenzierte Loch, das die Frau für die Männer darstellt. Dem muss unbedingt etwas entgegengesetzt werden. Es muss über die Schönheit dieses Geschlechts geschrieben werden, über dieses einander Nahekommen auch.

Barbara Seeck: Der sexuelle Akt ist etwas ganz Intimes. Was bewegt Sie, darüber zu schreiben, ihn öffentlich zu machen?

Karin Rick: Also zuerst einmal die Lust am Schreiben selbst. Ich stelle mir diesen Akt ganz genau vor, und schreibe ihn und das ist ein schon ein großer Lustgewinn, wenn man lang genug beim Schreiben dranbleibt. Die Aktualisierung dieses Ereignisses, dieses Immer-Wieder-Aufrufen des Aktes ist ja eine Art Definitionsmacht über die Welt. Das hat schon etwas sehr Freudvolles an sich.

Autorin und Publikum lachen.

Barbara Seeck: Eine sehr ehrliche Antwort, Karin Rick!

Karin Rick: Um eine lustvolle Situation aufzubauen, muss man sich das allerextremste, äußerst denkbare Geile vorstellen, damit der Akt dann halbwegs geil wirkt. Man muss sich noch ärger in die Situation hineinversetzen, als sie dann tatsächlich beschrieben wird, denn sonst kriegt man diesen Kick nicht hin, wo es dann explodiert.

Und man muss sich auch immer in diese Angst der Person vor der Entblößung hineinversetzen, z.b. beim ersten Mal mit jemandem. Ein bisschen Scham ist ja immer dabei, bei jedem sexuellen Akt.

Barbara Seeck: Aber Scham ist doch etwas, was Frauen früher vom Sex abhalten sollte, oder nicht?

Karin Rick: Ja, aber in meinen Augen ist Scham heutzutage etwas, das Lust triggern, sogar verstärken kann, wenn man sie überwindet. Das Gleiche gilt zum Beispiel auch, wenn man jemand so ganz und gar nicht attraktiv findet, und dann kippt das plötzlich, und er oder sie wird auf einmal besonders attraktiv und begehrenswert. Wie ich das in der Geschichte „Magische Worte“ in meinem Buch beschreibe.

Barbara Seeck: Wie ist es Ihnen beiden gegangen, diese Texte zu zweit zu lesen? Jeanne, können Sie das beschreiben?

Jeanne Drach: Also ich dachte, ich werde immer total rot werden, die ganze Zeit über, und habe mich etwas gefürchtet, denn ich habe das ja noch nie gemacht, ich wusste nicht, wie es sein wird, im Publikum, aber dann habe ich festgestellt, es war sehr, sehr schön…