Heutzutage sind sie Eingangstore zur Imagination: Im Sommer 2022 betrat man in der Kunsthalle Wien durch eine Vagina dentata mit metallenen Zacken Katrina Daschners queere Film- und Kunstwelt. Mit der Personale Rosemarie Castoros eröffnete im Mai 2023 die neue Ausstellungshalle des MAK. Unter den Objekten die Skulptur „Beaver’s Trap“ als Vagina Dentata und Käfig zugleich. In der Galerie Steinek lieferte Renate Bertlmann letztes Jahr ihre Version des gefährlichen weiblichen Lustorgans. Auf einem Röntgenbild eines weiblichen Beckens ist ein aus der Vulva ragendes Skalpell zu erkennen. Männliche Kastrationsängste auf die Spitze getrieben.

Die Symbolik der – ich sage, Vulva – dentata ist viel älter als die Freud’sche Kastrationsangst. Erinnert sie doch an den mythologischen Archetypus der angsteinflößenden Großen Mutter, auch Schrecklichen Mutter in Mittel- und Nordamerika, Todesgöttin bei den Atzteken, Kali bei den Hindus. Sie erscheint oft in der Form eines mit Messern oder Zähnen bestückten Mundes, die dunkle, zerstörerische Seite des Göttlich-Weiblichen repräsentierend. Der todbringende Schoß der ungeheuerlichen Scylla mit sechs Hunden anstelle eines Unterleibes wartet in Homers Odyssee auf die ahnungslosen Seefahrer, um sie zu verschlingen. In Sagen der nordamerikanischen First Nations ist die Vulva der Großen Mutter von einem fleischfressenden Fisch bewohnt, dem die Zähne gezogen werden müssen.

Dabei gibt es auch die andere Seite der Vulva. Die Nymphe Baubo bringt Göttin Demeter zum Lachen, als diese über den Verlust ihrer Tochter trauert, die von Hades geraubt in der Unterwelt verschwunden ist. Demeters Schmerz ist so groß, dass die Erde vertrocknet und die Menschen hungern müssen. Baubo tröstet sie, indem sie ihre prächtige Vulva herzeigt, ihr wunderbares, lustbringendes Geschlechtsorgan. Die Menschen waren gerettet. Der Vulva wurden alsbald beschützende und magische Eigenschaften zugesprochen. Ihre Darstellungen im öffentlichen Raum gibt es immer noch zu bewundern. An den Fassaden romanischer Kirchen des 12. und 13. Jahrhunderts in Spanien, England, Irland und Frankreich tauchen Frauen mit überdimensionalen, gebleckten Geschlechtsteilen auf, so ein Kragstein in Kilpeck, England. Eine vulvaweisende Nonne ist Teil eines Kapitels in der Kirche St. Radegund in Poitiers – um nur zwei der vielen ‚Sheela-na-gigs‘, wie sie auf irisch heißen, zu nennen. Ihre Wirkung auf Frauen schien stimulierend gewesen zu sein. Auch der Schutzmantel der Madonna erinnert an die Form einer Vulva, so die Kulturwissenschaftlerin Mithu M. Sanyal: „Die Mandorla oder Mandelglorie aus Licht hat ihre Wurzeln in der Symbolisierung des weiblichen Genitals.“ Mithu M. Sanyal beschreibt in ihrem Buch, „VULVA. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts“, auf besonders anschauliche Weise deren Kulturgeschichte.

Die Vulva als ‚literarisches Kunstobjekt‘ (Irene Brickner, in: der Standard) erscheint in meinem Roman, „Sex ist die Antwort“ als meterhohe Skulptur zum Anfassen aus Gummi, ausgestellt in einer Galerie: „…ihre Oberfläche aus tiefen Falten, Ausbuchtungen und Hügeln, glatt an manchen Stellen, aufgeraut wie eine Tierzunge an anderen… ich lasse erstaunt meine Finger über die genoppte Oberfläche der Riesenvulva gleiten, mein Unterarm wird ganz zwischen nassen Lappen eingesogen…“

Die Angst vor Vernichtung, die männliche Todesangst, wird zu oft an das weibliche Geschlecht delegiert. Dabei ist es die Vulva, die höchst gefährdet ist. Zuerst verleumdet, dann sprachlich zur Nichtexistenz verdammt, weggesperrt, entwertet, mit Scham belegt, verhöhnt, dämonisiert, zerschnitten. Da mag es nicht verwundern, dass immer noch verlangt wird, diesen Hort der Lust nicht öffentlich und frech zur Schau zu stellen, sondern hinter verschlossene Türen zu verbannen.

Die Reaktion der Medien auf Charà am Graben war wohlwollend bis gemäßigt kritisch. Die Kommentare einiger sehr rechter, „normaler“ Politiker:innen, die alles, was weibliche Sexualität betrifft, in die eigenen vier Wände zurückhaben, weiterhin domestizieren und weibliche Lust zum Schweigen bringen wollen, hoben sich erwartbar davon ab. Das Objekt sei „unpassend“ am Wiener Graben, seine Qualität als Kunstwerk ist nicht ersichtlich, Kinder sollten vor solchen Darstellungen besser geschützt werden, am allerbesten von ihren Müttern zu Hause – Kinder, Küche und Küchenschürze als Revier der Frauen. Die Freiheit der Kunst, sprich, welches Kunstwerk Recht auf öffentlichen Raum hat, entzündet sich am weiblichen Lustorgan, einhergehend mit der gewünschten Kanalisierung der ‚Norm‘- Sexualität. Angriffe auf LGBTIQ+ häufen sich gleichzeitig. Noch haben wir es mit einzelnen gezielt entrüsteten Wortmeldungen von FPÖ Politikern zu tun. Doch dies sollte nicht ignoriert werden. Dystopische Szenarien zeichnen sich ab, und die Horizonte drohen enger zu werden. Ergötzen wir uns vorerst an Charà, dem Tor zur Freiheit, das uns Kris Lemsalu zur Verfügung stellt. Diese Freiheit sollte erhalten werden.