Was Taylor Swift zu einem so aufreizenden Feindbild macht, ist die frech zur Schau gestellte, provokant sexy auffallende Weiblichkeit, die nicht darauf angewiesen ist, einem Mann, Männern überhaupt, zu gefallen. In ihren Songs leuchtet das Augenzwinkern weiblicher Dominanz. Aber mit purer „femininity“ tat sich unsere Kultur immer schon schwer.
„Wiiiiiiiildest dreams, ah-ah-haaaa“, singt die Menge. Man kann sie hören, lange bevor man sie sieht. Unter dem dunkelblauen Straßenschild mit der weißen Aufschrift „Corneliusgasse“ tauchen sie dann auf: pastellfarbene Rüschenkleider, Blumenprints, Tüllröcke, Schleifchen und Glitzer auf der Haut, Glitzer in den Haaren, Glitzer überall! Die Swifties haben die rund hundert Meter kurze Straße in Wiens sechstem Bezirk eingenommen und in einen Trost-Tempel verwandelt. Es ist Freitag, der 9. August, 18.53 Uhr. Oben leuchtet der Himmel in spätsommerlich zartem Blau, das perfekt in die Swiftie-Farbpalette passt. Unten, umrahmt von typisch hellen Wiener Altbaufassaden, wiegen fremde Menschen sich Arm in Arm zum Takt von Love Story, Shake It Off und Cornelia Street – dem Song, der die Fans zu Hunderten in die kleine Gasse mit dem ähnlichen Namen pilgern lässt. Die Lieder hätte Taylor Swift eigentlich an diesem Wochenende im Wiener Ernst-Happel-Stadion performt. Drei Abende hintereinander sollte sie vor je 65.000 Fans ihre Eras-Tour spielen, eine Reise durch sämtliche Alben ihrer achtzehnjährigen Karriere. Doch die Konzerte wurden spontan vom Veranstalter abgesagt, Grund dafür war ein akuter Terrorverdacht…“1, schreibt die Zeit am 9.8.24 in „Thank you, Swiftienna!“.
Sie ist nicht die einzige Zeitung, die sich dem Phänomen vornehmlich weiblicher Fans, ihrer spontanen Solidarisierung, der positiven Veränderung der Stimmung in Wien durch Tausende zwar enttäuschter doch die Enttäuschung gemeinsam wegsingender Konzertbesucherinnen und überhaupt der Verehrung einer Pop-Ikone widmet.
Auch ich hatte ein Ticket für ein Konzert in Wien, auch ich war traurig. Als ich von einer Freundin die Textbotschaft, ‚die Konzerte wurden abgesagt‘ bekam, dachte ich an eine Falschnachricht. Es war Mittwochabend, die Show, die ich gebucht hatte, würde am Freitag stattfinden. Ich war schon die Tage davor euphorisch, dass ich an diesem Jahrhundertevent, ‚a show for a lifetime‘, wie ein Journalist konstatierte, teilnehmen würde, fuhr soeben in der U-Bahn vom Fitnesscenter nach Hause. Bloß ein Fake!, textete ich zurück. Dann fand ich auf ORF.at die Schlagzeile: Alle drei Taylor Swift Konzerte in Wien wegen geplantem Terroranschlag abgesagt. Zeitgleich rief mich Eva, meine Partnerin an, „ich bin soooo traurig für dich!!!!“ Sie war voller Mitgefühl. „Schatz, Ich weiß, wie sehr du dich gefreut hast. Ich versprech dir, wir schauen uns wenigstens den Film über die Eras-Tour an, wenn er in die Kinos kommt.“ Sie redete lange auf mich ein, ich hörte zu, verstand aber nichts, ich war wie erschlagen.
Besser wäre es gewesen, wieder in die Stadt zurückzufahren und mich in dem Gewühl verzweifelt weinender Swifties abzulenken oder mitzuheulen, und mich trotz des enormen Altersunterschieds zwischen ihnen und mir in dieser gemeinsamen Traurigkeit aufgehoben zu fühlen. Stattdessen saß ich allein zu Haus, haderte mit der Staatssicherheit und versuchte, meine Enttäuschung zu bewältigen. Erzählen konnte ich es niemandem von meinen Freunden, denn die hätten meinen Frust lächerlich gefunden. Es fand sich keiner unter ihnen, der sich so leidenschaftlich wie ich mit diesem Konzert identifizierte. Sie waren dem Event gegenüber zu gleichgültig, zu sehr vereinnahmt von wichtigeren, existentielleren Dingen, oder, altersentsprechend mit anderen Singer-Songwriters mehr verbunden, fanden Swifts Musik nicht cool genug, zu oberflächlich hysterisch, hatten die Sängerin bis vor kurzem nicht einmal gekannt. Ein Freund sagte sogar lapidar, er würde nie so viel ausgeben wie ich, nur um im obersten Rang eines Stadions bei einer typisch amerikanisch aufgemotzten Show dabei zu sein, da würde er lieber um das Geld auf Urlaub fahren und überhaupt, ‚hast du die Olympia Eröffnung in Paris gesehen? Das war etwas Einzigartiges, Erhebendes, da wurden die ganze Stadt und ihre Gebäude, ja sogar die Seine miteinbezogen, an jeder Brücke ein anderes Spektakel und Celine Dion auf dem Eiffelturm, die l’hymne à l’amour von Edith Piaf sang, so ergreifend, da hatte ich Tränen in den Augen, das war das wahre Jahrhundertevent‘. ‚Eine one-woman-show und eine Olympia Eröffnung, wo sich der französische Staatspräsident protzig für die Nachfahren inszeniert, kann man doch nicht miteinander vergleichen‘, konterte ich. ‚Trotzdem‘ insistierte er, ‚was das Geld kostet, diese Show, diese vielen Flüge, wie umweltschädlich, auch das Argument der Umwegrentabilität zieht da für mich nicht, ein dummer Hype um diese Swift, durch spotify hunderttausendfach verstärkt, ohne Social Media wäre die bloß ein Sternchen.“
Ich gab es auf. Zögerlich merkte ich an, dass sie wenigstens das Zeug dazu hätte, ein paar hunderttausend Amerikaner dazu zubringen, Kamala Harris zu wählen, wenn sie einen diesbezüglichen Satz auf Instagram stellte. ‚Okay‘, schloss er, ‚wenn sie wenigstens dafür gut ist, dann von mir aus.‘
Nur ein einziger Bekannter aus einer sehr umtriebigen, partyaffinen WhatsApp Gruppe verstand mich, „Swift abgesagt. Ich sterbe!“, schrieb er. ‚Ich sterbe mit!‘, schrieb ich zurück. Wir bemitleideten einander so lange, bis wir aus der Gruppe flogen. Niemand wollte unsere ‚Schmerzen‘ teilen.
Ich saß vor dem Fernseher, in dem immer wieder das Wort Absage und sonst nichts fiel und fühlte mich dumpf. Warum ausgerechnet in Wien, warum ausgerechnet dieses Konzert? Warum schaffen die österreichischen Behörden es nicht, ein Popkonzert zu sichern. Warum geht es bei hundertachtundvierzig anderen Swift Events in anderen Ländern? Oder um bei dem Bild von Paris und den olympischen Spielen zu bleiben, warum konnte man woanders eine ganze Stadt sichern, aber bei uns nicht einmal ein Fußballstadion?
Für 170 000 Menschen war es aus und vorbei. Viele davon waren vom Ausland angereist, ein Paar sogar aus China, wie ich später las, das Visum für einen Monat Europa zu bekommen sei fürchterlich mühsam gewesen, und als die Absage kam, warfen sie sich vor Verzweiflung schreiend auf den Boden.
Dabei wusste ich gar nicht genau, warum ich so traurig war. Es war doch bloß ein Popkonzert, das abgesagt worden war, von einer Sängerin, die nicht einmal meine Generation verkörpert. Hat mich Taylor Swift wirklich je interessiert? Hatte ich sie vor zwei Jahren schon gekannt? Kaum. Erst als ich in der Zeitung las, dass es in den USA um geplante Konzerte einer gewissen Sängerin einen solchen Run gab, dass Menschen bis zu 15 000 Dollar für eines dieser Events hinlegten und die Preise an den Eventbörsen im Netz explodierten, begann ich mich einzulesen und flüchtig in Taylor Swifts Songs einzuhören. Viele waren Ohrwürmer, die ich schon mal gehört hatte. Sie gefielen mir. In Wien waren drei Abende geplant, dafür gab es noch Karten, billiger als in den USA, aber immer noch teurer als alle anderen Konzerte, die ich in den letzten Jahren gesehen hatte. Ich konnte niemanden dazu bewegen mit mir zu kommen, ich kannte keinen wirklichen Fan, Menschen in meinem Alter hatten Taylor Swift verschlafen. Ich aber wachte gerade auf. Tausende vorwiegend weibliche Jugendliche konnten nicht irren. 275 Millionen Follower allein auf Instagram, schon das machte sie für mich großartig. (weiterlesen Teil 2)
1 Die Zeit, 10.8.2024, Neele Sophie Karsten